Triers ewige Schuld

Am Ende hatte Dietrich Flade die Seiten gewechselt, war aus dem Täter ein Opfer, aus dem Richter ein Hingerichteter geworden.

Zahlreiche Todesurteile hatte er bereits gesprochen, da sah sich Flade plötzlich selbst der Hexerei bezichtigt. Als sich die Besagungen gegen ihn häuften, wollte der Trierer Erzbischof und Kurfürst Johann von Schönenberg nicht mehr an Zufall glauben. So machte man Flade Ende der 1680er-Jahre den Prozess, am 18. September 1589 endete er vor den Toren Triers auf dem Scheiterhaufen.

Besagter Flade liefert den Stoff für einen soeben erschienenen historischen Roman: In „Tödliche Feuer – Der Fall Dietrich Flade“ schildert die Autorin Josefine Wittenbecher das tragische Schicksal eines Mannes, der als Richter, kurfürstlicher Rat, Professor und schließlich Rektor der alten Trierer Universität in hohem Ansehen stand, bis auch er ein Opfer des seinerzeit tobenden Hexenwahns wurde. Bis heute erinnert man sich in der Moselstadt an Flade, benannte auch eine Straße nach ihm.

Dabei belastet sein vorzeitiges Ende bis heute den städtischen Haushalt – und das seit mehr als 400 Jahren. Denn zu Lebzeiten hatte sich die Stadt bei ihrem wohlhabenden Schultheiß 4.000 Goldgulden geborgt, um einen Prozess auf Reichsunmittelbarkeit finanzieren zu können. Flade gewährte den Kredit, stand aber in der Sache unbeirrt auf der Seite des Kurfürsten. Triers Ratsherrn verloren den Prozess und standen fortan in der Schuld Flades.

Das änderte sich erst nach dessen Hinrichtung, denn der Kurfürst hatte den Schuldschein kurzerhand eingezogen und verfügt, dass die Stadt die Zinsen an die fünf Innenstadtpfarreien zahlen musste – „zur Aufbesserung des Pfarrersgehalts“, wie es damals hieß.

So findet sich bis heute im chronisch defizitären Haushalt der Stadt Trier unter der Nummer 3700 „Kirchliche Angelegenheiten“ die Rubrik „Verpflichtung aus dem Flade’schen Nachlass“. Die Summe wurde nie verändert, sondern lediglich in die jeweils gültige Währung umgerechnet. Aktuell überweist das Rathaus exakt 362,50 Euro jährlich an die Innenstadtpfarrei Liebfrauen.

Nein, das Geld diene natürlich nicht mehr der Aufbesserung seines Gehalts, versichert sichtlich erheitert der zuständige Domkapitular Hans-Wilhelm Ehlen. Vielmehr komme es jetzt „der Kirche und sozialen Zwecken“ zugute. Mehr verrät der Kirchenmann nicht. Stattdessen stellt Domkapitular Ehlen klar, dass aus seiner Sicht ein Verzicht auf die sonderbaren Einnahmen nicht zur Debatte stehe.

Auch im Rathaus hat man sich mit der unzeitgemäßen Zahlungsverpflichtung abgefunden. Schließlich handele es sich um einen Betrag, „der die Stadt nicht ärmer macht als sie ohnehin schon ist“, verweist die Verwaltung auf die mehr als 20 Millionen Euro, die Trier allein in diesem Jahr für Zinszahlungen aufwenden muss. Und überhaupt: Irgendwie sei die jährliche Überweisung doch auch „ein sympathischer Akt fiskalischer Traditionspflege“, argumentiert Ralf Frühauf, Pressesprecher der Stadt.

Dass sich die Hinrichtung Flades bis heute für die Kirche bezahlt macht und die Stadt Trier ihre „Schuld“ nie wird abtragen können, weil ein vor 400 Jahren verblichener Kurfürst es so wollte, spielt da auch keine Rolle mehr.

(Dieser Beitrag erschien am 13. Mai in der Wochenzeitung DIE ZEIT. Am 30. April 2014 hat die Stadt Trier mit einem Gedenkakt an die Gräuel der Hexenverfolgung erinnert)