OB ohne Wahl?

Sollte die CDU bei der OB-Wahl im September dem sozialdemokratischen Amtsinhaber kampflos das Feld überlassen, wäre dies stadtgeschichtlich ein Novum und für die einst erfolgsverwöhnte Union ein neuerlicher Tiefpunkt. Vorbei die Zeiten, als man im Rathaus das Sagen hatte, in Mainz, Bonn und später Berlin Einfluss nahm und die Bischofsstadt als sichere Bank galt. Dabei könnten sich die Christdemokraten ein Beispiel an SPD und Grünen nehmen, denn die nutzten bei früheren OB-Wahlen auch dann ihre Chance, wenn sie keine hatten.

Einen „gewaltigen Gewissensterror vor allem seitens des Klerus“ beklagte der Unterlegene und zählte in seinem Tagebuch eine lange Liste von Kirchenmännern auf, die seine Wahl verhindert hätten. Auch der damalige CDU-Fraktionschef im Stadtrat habe eine „üble Rolle“ gespielt, befand der Unterlegene. Die Verbitterung saß tief bei Emil Zenz, mit 22 zu 24 Stimmen hatte der Bürgermeister denkbar knapp den Kürzeren gezogen gegen Josef Harnisch, den offiziellen Kandidaten seiner Partei, der schließlich die Nachfolge Heinrich Raskins im Amt des Trierer Oberbürgermeisters antreten sollte.

Dass gleich zwei Unionsmänner zu einer OB-Wahl, die damals noch in den Händen der Ratsmitglieder lag, antraten, scheint aus heutiger Sicht ein bemerkenswerter Vorgang. Tatsächlich war die Kandidatur von Zenz auch 1963 schon eine Kampfansage an die eigenen Leute, die den eitlen Kulturdezernenten nicht an der Spitze der Stadt sehen wollten. Doch immerhin hatte die CDU da noch Bewerber für das höchste Amt im Rathaus.

Knapp sechs Jahrzehnte später schickt sich die Union an, dem Amtsinhaber von der SPD das Feld zu überlassen und erstmals bei einer Trierer OB-Wahl keinen Bewerber aufzustellen. Mehr noch: Die CDU könnte die Kandidatur Wolfram Leibes für eine zweite Amtszeit unterstützen. Man mag darin eine noble Geste gegenüber einem OB sehen, der auch nach Meinung politischer Gegner und vieler Triererinnen und Trierer einen guten Job macht. Doch deutlich mehr spricht dafür, dass die sich abzeichnende Unterstützung Leibes vor allem der personellen Not des CDU-Kreisverbands geschuldet ist. Die Partei, für die Trier einst Hochburg war, die in Mainz Minister und einen Ministerpräsidenten stellte und die nach so ziemlich jeder Bundestags- und Landtagswahl in den jeweiligen Parlamenten vertreten war, hat schlicht niemanden mehr, dem oder der sie höchste Ämter zutraut.

Dass es so weit kommen könnte, schien vor noch nicht allzu langer Zeit undenkbar. Bis 2007 wurde die Stadt vom „ewigen OB“ Helmut Schröer geführt, 18 Jahre hielt es den bis dato letzten Christdemokraten auf dem Chefsessel des Rathauses. Schröer war vom Stadtrat in dieses Amt gewählt worden, als Nachfolger Felix Zimmermanns. 1998 stellte er sich dann erstmals einer Direktwahl. Schröer war nicht unumstritten, doch hatte er als OB einen Amtsbonus sowie einflussreiche Unterstützer. Der Mariahofer galt als Macher, und er konnte sich im Stadtrat meist auf die Unterstützung der SPD verlassen. Denn die stellte zwei Stadtvorstandsmitglieder und war somit immer mit eingebunden.

Dennoch wären die Genossen nicht auf die Idee gekommen, bei der ersten Direktwahl eines Trierer Oberbürgermeisters auf ein eigenes Angebot zu verzichten. Vielmehr nominierten sie als Gegenkandidatin die weithin unbekannte Barbara Amelung, die einige Jahre zuvor mit ihrer Familie von Trier nach Dresden gezogen war. Der personelle „Reimport“ war chancenlos, und mit 31,1 Prozent landete Barbara Amelung abgeschlagen hinter Schröer, der im ersten Wahlgang mit 57 Prozent das Rennen klar für sich entschied. Doch ein derartiges Ergebnis hatten der Frau von Außen selbst viele der Genossen nicht zugetraut. Wie auch Reiner Marz mit fast 12 Prozent ein für damalige Grünen-Verhältnisse respektables Resultat einfuhr.

Acht Jahre später wurden die Karten völlig neu gemischt. Mit Klaus Jensen und Ulrich Holkenbrink traten zwei Kandidaten an. Holkenbrink, dessen Vater einst mächtiger Verkehrsminister in Mainz war, galt als Wunschkandidat Christoph Böhrs, dem damals starken Mann der CDU in Stadt und Land. Der nahbare Kulturdezernent galt zwar politischen Gegnern als menschlich integrer, doch das OB-Amt trauten Holkenbrink auch in der Union viele nicht zu. Weil es Klaus Jensen zudem gelang, als rot-grüner Kandidat bis hinein ins bürgerliche Lager zu punkten, verlor die CDU den wichtigsten Posten am Augustinerhof. Jensen fuhr einen Erdrutschsieg ein, fast 67 Prozent der Wählerinnen und Wähler votierten für den Sozialplaner und früheren Sozialstaatssekretär. Dass die Wahlbeteiligung bei bescheidenen 43 Prozent lag, geriet derweil in den Hintergrund.

Zumal es noch weiter bergab gehen sollte mit der Beteiligung. Obschon gleich drei respektable Kandidaten antraten, gaben 2014 im ersten Wahlgang keine 32,7 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme ab. Das wiederum führte zu der grotesken Situation, dass die damalige CDU-Bewerberin mit knapp 12.500 Einzelstimmen im ersten Durchgang regelrecht triumphierte, nachdem Holkenbrink acht Jahre zuvor mit mehr als 11.000 Stimmen als deklassierter Verlierer vom Platz gegangen war. In der Stichwahl 2014 reichten Wolfram Leibe schließlich 12.737 Stimmen, um zum neuen Trierer Oberbürgermeister gewählt zu werden – nur 110 Stimmen mehr als die christdemokratische Kandidatin einfahren konnte.

Was dies alles für die Wahl 2022 bedeutet? Sollte die CDU keinen eigenen Kandidaten aufbieten oder mit Michael Molitor einen Mann ins Rennen schicken, der als bislang inaktives Mitglied der Union stadtpolitisch noch nie in Erscheinung trat, dürfte Leibe auf den ersten Blick leichtes Spiel haben. Schon jetzt gilt der Sozialdemokrat als haushoher Favorit, sollten neben SPD und FDP auch die Christdemokraten den früheren Arbeitsagentur-Manager unterstützen, könnte man sich die Wahl allerdings auch gleich sparen.

Somit ist es nun an den Grünen, für eine echte Alternative zu sorgen. Dass diese von außen kommen müsste, wäre mitnichten ehrenrührig: Seit dem Krieg hat es an der Spitze der Stadt keinen gebürtigen Trierer mehr gegeben.


(Marcus Stölb · März 2022)